Friedrich CERHA

»Der Rattenfänger« - Wiederaufnahme 2004

12. Juni 2004

Die Ratten nagen und nagen

Friedrich Cerhas Zuckmayer-Oper knapp zwei Jahrzehnte nach der Uraufführung wieder zur Diskussion gestellt.
Vorab: Erstaunlich ist, dass zeitgenössische Komponisten offenbar von der Regietheater-Keule befreit bleiben. Nach Hans Werner Henzes »Elegie für junge Liebende« in Berlin erfuhr nun Friedrich Cerhas »Rattenfänger« eine unverzerrte, textgetreue Neuinszenierung in Darmstadt.

Die Wiener Festwochen zeigten das Werk als Gastspiel im Museumsquartier als Versuch der späten Ehrenrettung eines Stückes, das offenbar doch weit besser ist, als die Grazer Uraufführung Mitte der Achtziger Jahre vermuten ließ.

Über die Qualität von Friedrich Cerhas Musik herrschten damals bereits keine Zweifel. Die Partitur ist, versteht sich, handwerklich exzellent gearbeitet und nutzt an den Höhepunkten der Handlung, nicht zuletzt aber in den symphonischen Zwischenspielen, enorme dramatische Ballungen und brisante Zuspitzungen des Stimmengeflechts. Da agiert der Komponist auf der Höhe seiner Ausdruckskunst.

Auch dort, wo er im Verlauf des Dramas subtile Gefühle zwischen dem Außenseiter-Liebespaar schildert - der Henkerstochter Rikke und dem Fremdling, der die Stadt saxofonblasend von der Rattenplage befreit - zaubert Cerha fein gesponnene, von den Streichern dominierte Klanggespinste, die das Darmstädter Orchester unter Stefan Blunier engagiert und effektvoll realisiert.
Cerhas Musiksprache findet sich in dieser Komposition, ausgehend von einem an Alban Berg geschulten Instrumentations- und Harmonie-Raffinement geweitet zu einem Klang-Horizont, dessen beeindruckende Weite simple Liedformen ebenso natürlich einbindet wie hochkomplexe strukturelle Verschachtelungen.

Problematisch daran: Die orchestralen Wogen verdichten sich oft dermaßen, dass für die Singstimmen ohne forcierenden Nachdruck kein Durchkommen ist. Der Rattenfänger, der sich zu Beginn mit einem nahezu unbegleiteten Bänkelsänger-Lied präsentiert - die schöne Melodie durchzieht wie ein Cantus Firmus in erstaunlichsten Ausformungen die Partitur - sieht sich wie seine Rikke genötigt, weite Teile seiner Partie recht lautstark zu absolvieren.

Gebrüll und Sprechgesang

John Pierce, der Rattenfänger, steht das besser durch als die Rikke von Morenike Fadayomi, die aus ihrem Einheits-Fortissimo den ganzen Abend lang nicht dazu kommt, vokale Differenzierungskünste hören zu lassen. Etlichen anderen Darstellern verwehrt das Cerhas Tonsatz von vornherein, weil er ihnen vor allem rezitativische Szenen schenkt - da bewähren sich hemdsärmelige Bühnentemperamente wie der widerlich intrigante Hostienbäcker Michael Wittes. Sie betrachten Cerhas Werk als eine Art Schauspielmusik, die wirkungsvolle Szenen adäquat untermalt.

Das ist nicht ganz falsch, denn die Partitur kennt neben den dicht gewebten Passagen auch ausgedünnte, karge Szenen. Mag sein, dass durch diese Abschnitte die theatralische Spannung des Werks hie und da unterminiert, ja unterbrochen zu werden droht. Hier ließe sich ein wenig raffen und zusammenfassen, um den Fluss der Handlung ungebremst zu ermöglichen.

Heftige Ausbrüche widmet die Musik freilich neben dem Titelhelden auch dem machtgierigen Stadtregenten (Thomas J. Mayer) und seiner eitlen Gemahlin (Jenniffer Arnold), die dem Charisma des Rattenfängers verfällt und sich zu seinem Spiel zu Tode tanzt. All das lebt von den orchestralen Eruptionen - und kann auf der Bühne dank Friedrich Meyer-Oertels Inszenierung mühelos nachvollzogen werden. Wenn auch bei aller Freude über den hohen Wiedererkennungswert der Regiearbeit im zweckmäßigen Drehbühnenbild Hartmut Schörghofers nicht verschwiegen sei, dass ein wenig mehr dramaturgische Zuspitzung der Personenführung noch weit höhere Wirkung beschert hätte.

So, wie es in der Halle E zu erleben war, bleibt Zuckmayers Spiel doch recht hausbacken und lässt wenig von jener politischen Brisanz spüren, die dem Drama von Macht und Fremdsein innewohnen muss. Zumal wenn der Auszug der Kinder in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft zuletzt den beabsichtigten Druck auf die Magengrube des Zuschauers ausüben sollte.

Fazit: Die Festwochen haben sich um die Wiederbelebung eines Werkes verdient gemacht, das bei entsprechender Präsentation (und mit stimmgewaltigen Sängern) großen Effekt machen könnte. Man sollte bis zum nächsten Versuch den Griff zum Rotstift wagen, die Partitur ein wenig verkürzen, aber jedenfalls nicht wieder zwei Jahrzehnte verstreichen lassen. Wie schon die Uraufführung war auch diese Neudeutung nur ein Versuch. Das Potenzial von Cerhas »Rattenfänger« scheint noch lang nicht ausgelotet.



↑DA CAPO